In den Medien kursieren in Deutschland ganz unterschiedliche Begrifflichkeiten für Sportarten, in denen der körperliche Kampf unter Zuhilfenahme eigens hierfür entwickelter Techniken im Mittelpunkt steht. Konkret wird begrifflich zwischen einer Selbstverteidigungssportart, einem Kampfsport und einer Kampfkunst unterschieden. Um es vorwegzunehmen: Eine einheitliche Anwendung dieser Begriffe gibt es nicht. Im folgenden Beitrag wird versucht, die Begriffe nach ihrem Sinn zu erklären und zuzuordnen
Insider-Sichtweise
Angesichts der Fülle von Angeboten und deren Repräsentanten existieren entsprechend viele, unterschiedliche Sichtweisen über die Definition von Kampfkunst, Kampfsport und Selbstverteidigung. Die einen Gelehrten sehen in jeder solcher Sportarten eine Kunst und deklarieren somit z.B. auch Judo und Karate zur Kampfkunst, die Anderen möchten gerne zwischen dem sportlichen und dem realistischen Aspekt des Kampfes unterscheiden und sehen Kampfkunst als Kunst des Überlebens. Der Begriff Selbstverteidigung ist ein „Allround-Begriff“ und wird von vielen Vereinen und Sportschulen oft zu Werbezwecken benutzt, da er von sich aus Klarheit im Bezug auf seine Zielsetzung schafft (sich selbst verteidigen zu können).
Wie es Laien sehen
Die meisten Nicht-Insider benutzen allerdings zumeist das Wort Kampfsport synonym für sämtliche Sportarten, die etwas mit Kämpfen zu tun haben. Der Selbstverteidigung wiederum wird von Laien häufig etwas unbesiegbares zugeordnet, oft wird – ungeachtet von Logik und Realität dieser Zuordnung – vermutet, dass in Selbstverteidigungssportarten geheime Techniken erlernt werden. So z. B. wird der Frauen- und Kinderselbstverteidigung eine Art „konspirativer Gedanke“ unterstellt, da man sich nicht genau erklären kann, wie ein physisch schwächerer Körper gegen einen Stärkeren gewinnen kann. Die Kampfkunst wiederum wird zumeist als weiche und elegante Form des Kämpfens verstanden und häufig unter pazifistischen Gesichtspunkten betrachtet.
Was der „Brockhaus“ sagt
Kampfsportarten², zusammenfassende Bez. für diejenigen Sportarten, die vorwiegend durch den unmittelbaren Kampf „Mann gegen Mann“, meist mit Körperkontakt, gekennzeichnet sind; dazu gehören die „Zweikampfsportarten“ (z. B. Boxen), die „Kampfkünste“ des →Budos und die „Kampfspiele“ (z. B. American Football).
Selbstverteidigung³, allg. die rechtlich erlaubte unmittelbare Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs oder einer drohenden Gefahr (→Notwehr, →Notstand). Als waffenlose S. bildeten sich v. a. in O-Asien Formen der körperl. Verteidigung aus, die heute auch in Europa als Sportarten betrieben werden (→Budo, →Wushu)
² BROCKHAUS A-Z Wissen, Band 6, KALF-LEU, Leipzig/Mannheim 2005, 2006, 2008, Seite 31
³ BROCKHAUS A-Z Wissen, Band 10, SARE-STIM, Leipzig/Mannheim 2005, 2006, 2008, Seite 291
Dieser Definitionen zur Folge sind die Kampfkünste eine Unterkategorie der Kampfsportarten, wozu der BROCKHAUS sogar Kampfspiele zählt. Dementgegen wird die Selbstverteidigung lediglich auf eine – rechtlich haltbare – Abwehrhandlung in der Realität reduziert, obgleich im letzten Teil der Definition der Bezug zu Sportarten hergestellt wird. Ein Widerspruch, weil eine Abwehrhandlung auf der Straße keinen sportlichen Charakter verfolgen darf/kann. Sicherlich eine von vielen Fragen, die ungelöst bleiben werden.
Warum Definitionen wichtig sind
Da es keine einheitliche Definitionen gibt, kommt es häufig zu Irritationen und Missverständnissen. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Das Wort Ballsportarten ist der Überbegriff für z. B. Fuß- und Handball aber nicht für Billard, obwohl auch hier etwas Rundes im Spiel ist. Kampfsport ist der Überbegriff von Karate und Judo aber nicht für z. B. Aikido obwohl auch hier mit Händen und Füßen gearbeitet wird. Wenn also Fußballer eine Diskussion über Billard führen, so ist dies mit der Diskussion von Aikidokas über das Karate vergleichbar.
Es ist also schon sinnvoll, die Unterschiede zwischen den Bereichen Kampfsport, Kampfkunst und Selbstverteidigung genauer zu definieren, allein der Vermeidung von Missverständnissen wegen. Außerdem wird auch hier im gesamten Blog mit diesen Begriffen gearbeitet, die selbstverständlich aus den weiterführenden Definitionen abzuleiten sind. Für Kenner der Szene kann der Reiz der folgenden Erklärungen vielleicht in der Abgleichung zum eigenen Wissen, bzw. zu den eigenen Ansichten liegen. Im Folgenden also die Begrifflichkeiten und der Versuch einer entsprechenden Definition:
Der Kampfsport (KS)
Der Begriff lässt sich leicht über die Trennung des Begriffes definieren: der Kampf wird unter sportlichen Gesichtspunkten reglementiert. Daher unterliegen sämtliche Techniken bestimmte Regeln, die wiederum – während eines Wettkampfes – von unbeteiligten Dritten überwacht werden.
Unter dem Kampfsport vereinigen sich alle zum sportlichen Wettkampf und Vergleich geeigneten Sportarten. Demnach sind z.B. Judo, Karate, Taekwondo und Kickboxen als Kampfsport zu definieren, da sie grundsätzlich den Kampf unter sportlichen Aspekten bevorzugen – abgesehen von der Tatsache, dass sämtliche der aufgeführten Kampfsportarten auch einen Selbstverteidigungscharakter für sich beanspruchen. Äußerliches Merkmal ist das Tragen von – zumeist – weißen, speziellen Anzügen mit farbigen (Schüler) bzw. schwarzen (Meister) Gürtelgraden. Ebenfalls ist dass Training ohne Schuhwerk (Barfuß) charakteristisch.
In allen Kampfsportarten existiert für die jeweiligen Wettkämpfe ein Regelwerk. So gibt es z. B. eine Begrenzung der Kampfzeit, es gibt Gewichts- und Altersklassen sowie eine Begrenzung der Kampffläche und eine Technikreglementierung, bei der z. B. im Taekwondo nur Tritte oberhalb der Gürtellinie erlaubt aber Würfe, Würger, Hebel und Bodenkampftechniken verboten sind. Im Judo wiederum darf im Wettkampf geworfen, gewürgt und gehebelt werden, Tritte und Schläge sind allerdings verboten.
Die meisten in Deutschland existierenden Kampfsportarten, wie z. B. Judo, Karate und Taekwondo, kommen aus asiatischen Ländern, in denen Traditionen sehr ernst genommen werden. Dies findet sich in den Kampfsportarten häufig in verschiedenen Ritualen, wie z. B. das An- und Abgrüßen vor bzw. nach dem Training, das Tragen von weißen Anzügen und das Trainieren ohne Schuhe (Barfuß), wieder.
Die Kampfkunst (KK)
Im allgemeinen bezeichnet man mit der Kampfkunst einen wettkampffreien Stil, der sich mit dem Training realitätsnaher, für den Kampf auf der Straße gedachter Techniken und Prinzipien auseinander setzt. Man könnte die Kampfkunst auch als Kunst verstehen, auf der Straße in einem Kampf zu bestehen. Zur Kampfkunst können ebenfalls polizeiliche Eingriffstechniken als auch der militärische Nahkampf gehören. In der Kampfkunst befasst man sich daher nicht mit reglementierten Techniken oder Situationen, wie z. B. eine Kampfzeit, eine Kampffläche und erlaubte oder verbotene Techniken. Dem Anwender ist alles erlaubt, was ihm dazu dient, einen (gegenwärtigen, unerlaubten und rechtswidrigen) Angriff von sich oder anderen Menschen abzuwehren (siehe Notwehr).
Eine Kampfkunst muss die Eigenschaft besitzen, sich seinem Anwender anzupassen, da es auf der Straße keinerlei Regeln gibt und man entsprechend auf das zurückgreift, was einem in „Fleisch und Blut“ übergegangen ist. Vom Technikrepertoire her muss eine Kampfkunst all die Techniken beinhalten, welche auf der Straße in einem realen Kampf erforderlich sind. Dabei werden die Techniken in sinnvolle Distanzen klassifiziert, von denen es fünf an der Zahl gibt:
Kick-Distanz: Kicken und lange Handtechniken
Box-Distanz: Handtechniken (z.B. Boxen) und kurze Tritte
Trapping Distanz: Ellbogen-, Knie-, Kopf-, Hebel-, Würge-, Schlag-, Tritt-, Transport-, Destabilisierungs- und Festlegetechniken
Wurf-Distanz: Destabilisierungs- und Wurftechniken, Takedowns (ziehen, drücken, zerren reißen), Hebel
Boden-Distanz: Einsatz aller Techniken, sofern praktikabel
Diese Distanzen decken sämtliche Bereiche der möglichen Vorfälle auf der Straße ab, also z. B. von der „herkömmlichen“ Straßenschlägerei mit dem „sich schlagen“ und dem Nachtreten auf einen im Boden liegenden Beteiligten, über die Bedrohung durch eine Waffe (z.B. Messer) und der couragierten Hilfe eines möglichen Opfers, bis hin zum altbekannten Gerangel auf dem Schulhof.
Dabei muss es sich nicht immer zwangsläufig um einen Gegner handeln. Hier wird deutlich, warum eine Kampfkunst z. B. auch den Kopf, die Ellbogen und Knie, die Finger sowie den Mund als Waffe mit einbindet: Techniken müssen nicht schön und human, sondern effektiv und wirkungsvoll sein. Sie müssen einen Gegner praktisch und ökonomisch stoppen und ihn von weiteren Handlungen abhalten. Hemmschwellen müssen für solche Fälle abgebaut werden, d. h. auch psychologisch muss eine Kampfkunst Taktiken und Prinzipien beinhalten, die den Anwender ideologisch nicht in Selbstzweifel versinken lässt.
Trainiert wird wegen des realistischen Charakters meist in normaler Sportkleidung und mit Schuhwerk, da durch dessen Einsatz auf der Straße eine weitere, hohe Wirkungskraft erzielt werden kann.
Die Selbstverteidigung (SV)
Die Selbstverteidigung ist als „Schnittmenge“ zwischen den Bereichen der KK und des KS zu sehen und beinhaltet – je nach Schwerpunkt der jeweiligen Selbstverteidigung-Systems – ein anderes „Mischungsverhältnis“ beider Bereiche zueinander. Außerdem haben einige Selbstverteidigungs-Systeme Schwerpunkte auf bestimmte Distanzen gelegt, wie z. B. das Aikido, welches den unmittelbarem Kontakt zum Gegner benötigt aber im Outfight (Treten und Boxen) oder im Bodenkampf keine Möglichkeiten bietet und daher in diesen Distanzen ungeübt ist.
Das Ju-Jutsu des DJJV (Deutscher Ju-Jutsu Verband) – beispielsweise – ist ein 1969 in Deutschland entwickeltes Selbstverteidigungs-System und enthält Ursprünglich die besten Angriffe und Verteidigungen aus dem Karate (Tritte und Schläge), Aikido (Hebel, Würfe, Nutzung der Zentripetal- und Zentrifugalkräfte) und Judo (Würfe, Hebel, Haltegriffe und Würger). Es wurde zwar speziell für die Einsatzkräfte der Polizei entwickelt, erfreute sich aber ebenso einer großen öffentlichen Beliebtheit. Trotz der hohen Anforderung an den Realitätscharakter, die mit der großen Modifizierung im Jahr 2000 einen weiteren Höhepunkt erreichte, trainieren die Sportler (Ju-Jutsuka) bis heute in weißen Anzügen und barfüßig, was Realitätsnähe vermissen lässt. Das Ju-Jutsu befindet sich im Zwiespalt zwischen Kampfsport und Kampfkunst: Einerseits existieren im Ju-Jutsu effektive Verteidigungsmöglichkeiten, andererseits auch Wettkampftechniken (z. B. Formenwettkampf). Beides sind Bestandteile im Ju-Jutsu Prüfungsprogramm, dass wiederum der Selbstverteidigung dienen soll.
Aber auch Kampfsportarten, wie z. B. Judo oder Karate, beanspruchen für sich einen Selbstverteidigungscharakter. Dieser wird jedoch von den Inhalten der jeweiligen Sportarten geprägt und besteht im Judo zumeist aus Würfen, Würgern, Festhaltegriffen und Hebeln (nahe Distanz) und im Karate aus Schlägen und Tritten (weite Distanz). Entsprechend „fehlen“ dem Judo erheblich Möglichkeiten der weiten Distanz (Schlagen und Treten) und dem Karate erhebliche Möglichkeiten der nahen Distanz (Würfe, Hebel und Festhaltegriffe). Erwähnenswert ist in diesem Kontext der sportlich faire Umgang im Kampfsport beim Training und bei Wettkämpfen. Gefahr hierbei ist die Konditionierung der Sportler auf die Werte und Normen dieses fairen Umganges (z.B. Moral und Ethik), die im Streetfighting (keine Gewichts- und Altersklassen, keine Ringrichter, keine Zeit- und Raumbegrenzungen und keine reglementierten Techniken, keine Hemmschwellen, usw.) keinerlei Bedeutung haben. Weitere Selbstverteidigungssysteme sind z.B. Hapkido, Aikido, Anti-Terrorkampf und Viet-Vo-Dao.
Mein Sohn möchte gerne mit gerne in eine Kampfsportschule, da er sich sehr für die Sportart differenziert. Gut zu wissen, dass Laien den Kampfsport anders betrachten, als die Insider. Ich werde mich mal mit den unterschiedlichen Definitionen auseinandersetzen, um ihn da optimal zu unterstützen.https://best-gym.de/koeln/
Hallo Herr Schneider, meiner Erfahrung nach definiert JEDER Kampfsport und Kampfkunst irgendwie anders. Das liegt nicht daran, ob jemand Insider oder Laie ist, sondern daran, dass es keine universelle Definition gibt. Das wiederum liegt daran, dass viele Insider daran interessiert sind, den Kampfsport besser zu verkaufen und was ist besser, als den Kampfsport universell zu sehen? Also: Kampfsport ist Kampfkunst und Selbstverteidigung in einem. Der Werbetrick: Trainiert Kampfsport und ihr trainiert alles. Ihr Sohn sollte sich also nicht für solche Äußerlichkeiten interessieren, sondern die Angebote für sich recherchieren. Probetrainings (mind. 3) sind dabei Pflicht, wie sonst soll man Unterscheidungen treffen? Übrigens: Karate in Hamburg ist nicht so, wie Karate in München. Mitglieder, Trainer, Atmosphäre, etd. gehören dazu.