Be Water My Friend

Be water my friend… – Wer kennt sie nicht, die berühmten Worte des legendären Bruce Lee? Erstmals in der amerikanischen Serie „Longstreet“ erwähnt, später dann durch sein Interview mit Pierre Berton 1971 in der „Pierre Berton Show“ in unvergesslicher Weise ähnlich wiederholt. Was aber haben diese Worte mit Individualität und Kampfkunst zu tun? Hier meine Gedanken zu dem Thema „Individualität in der Kampfkunst“. Wie auch immer der Leser mit diesem Gedankengut umgeht: Ich hoffe konstruktiv!

Individualität – Ein Wort, das jeder mit seinem Inhalt füllt…

Empty your mind. Be formless. Schapeless. Like Water. Now you put water into a cup, it becomes the cup. Put it into a teapot, it becomes the teapot. Now water can flow, or creep, or drip or crash. Be water, my friend!

Bruce Lee. – Aus der Fernsehserie „Longstreet

Bruce Lee„…Be water…“ – eine Metapher und gleichfalls die Frage nach dem „überhaupt“, also wie soll etwas (oder ich) sein oder werden, um was zu erreichen bzw. zu erzielen? Hiermit werden wiederum zwei Perspektiven eröffnet: Einmal der vorrangig verlockende Blickwinkel auf sich selbst, zum anderen der – scheinbar von einem wegführende – Blick auf das „Große und Ganze“. Je nach dem, worauf der Fokus liegt, wird zunächst etwas skizziert, gewinnt im weiteren Verlauf (z. B. durch ein Training) immer mehr an Kontur, bis es irgendwann mal in Graustufen oder Farben z. B. zu einem Portrait, einem Gemälde oder einem Kunstwerk wird. Um in dieser bildhaften Sprache zu bleiben: Würde man nun den Fokus auf sich selbst legen, könnte auch nur ein Bildausschnitt, allenfalls ein Portrait das Ergebnis sein. Nur mit dem Blickwinkel auf das „Große und Ganze“ verschafft man sich die Möglichkeit, das gesamte Bild erfassen zu können, wobei hier auch Steigerungen bis hin zum Kunstwerk möglich sind.

„…Be water…“, ist eines der philosophischen Vermächtnisse, welches uns Bruce Lee hinterließ. Warum aber gerade Wasser? Was hilf es uns im Training, gerade auf das Wasser zu schauen, bzw. wo ist der Lernwert? Wasser kann fließen, es kann tropfen, es kann rinnen oder plätschern. Wasser kann sich Formen anpassen, es kann zerstören oder gar töten. Wasser hat seinen eigenen „Willen“, wird natürlich gelenkt und formt seine Umgebung nach seinen Bedürfnissen. Wasser kann fest, flüssig oder gasförmig sein. Letztlich kann man Wasser nicht festhalten, nur berühren und fühlen bzw. spüren. Wasser ist eine Naturgewalt, die nur partiell kontrolliert werden kann. Wer dem Wasser schon einmal auf hoher See ausgesetzt war, kennt die wahre Macht dieses Elementes, die wahre Größe, vielleicht sogar dessen wahre Bedeutung. Das irre dabei: Der Mensch ist ein „Wasserwesen“ und besteht selbst – je nach Alter – zwischen 60 % und 80 % aus Wasser. Wasser reguliert z. B. die Herzkreislauffunktion, die Verdauung, ist für den Transport von Nährstoffen und Abbauprodukte verantwortlich und ist maßgeblich an der Regulierung der Körpertemperatur beteiligt. Es wird deutlich: Ohne Wasser, können wir nicht existieren.

Wasser ist also nicht nur philosophisch, sondern auch lebenspraktisch ein überaus interessantes Element, aus dem umfassend und vielfältig gelernt werden kann.

Eigenschaften des Wassers

In einem weiteren Schritt könnte man sich nun auf die einzelnen Eigenschaften des Wassers konzentrieren und sie als Grundlage weiterer Überlegungen bemühen. Ziel dieser Überlegungen wäre es, den Fokus mehr auf das Ego zu richten und die Frage zu stellen, wie kann ich mich dem Wasser nähern bzw. anpassen? Diese Frage seziert das Wasser ideologisch, versucht dessen Geheimnisse zu erkunden und dessen Eigenschaften nachvollziehbar zu machen, um sie letztlich in sich vereint zu implementieren. Das Problem ist offenkundig: Man wird weder zuBruce Lee 2 einer Tasse, noch zu einem Teepott oder einer Flasche, bzw. würde deren Formen annehmen können. Man verinnerlicht lediglich die Eigenschaften des Wassers in sich und kann entweder tropfen, rinnen, plätschern, fließen oder schnellen. Hiermit arbeitet man an seinem Portrait. Aus meiner Sicht ein Zustand, der weit weg von dem ist, was Bruce Lee eigentlich wollte.

Erstrebenswerter erscheint daher der Blick auf das „Große und Ganze“. Wasser kann so viel. Aber: Wer oder was lenkt es? Die Antwort ist einfach: Wasser wird durch die Natur gelenkt, konkreter durch deren Bedingungen und physikalischen Eigenschaften. Ich nenne es hier – vermenschlicht – mal die „Bedürfnisse der Natur“. Hat die Natur das Bedürfnis, abzukühlen, gefriert das Wasser. Hat die Natur das Bedürfnis, Wind aufkommen zu lassen, peitscht es das Wasser auf und/oder vor sich her. Hat die Natur das Bedürfnis, zu regnen, fällt das Wasser auf die Erde. Bemerkenswert ist: Durch jedes Bedürfnis der Natur in Bezug auf das Wasser entsteht etwas Neues und Einzigartiges allerdings auch etwas Verletzliches bzw. Vergängliches. In der Kälte entsteht Eis, welches durchaus begehbar ist und somit Distanzen verkürzen kann.

Wellen entstehen, indem der Wind über das Wasser weht, also durch Reibung. Flüsse und Seen schwellen an und können über ihre Grenzen (Ufer) treten, wenn es sehr intensiv regnet. Alles hat eine Ursache und eine Wirkung. So funktioniert Natur.

 

So könnte es sein

Daher interpretiere ich Bruce Lees Streben nach dem „…so sein wie Wasser…“ folgendermaßen: Spontanität, Individualität und Power auf Basis natürlicher Bedürfnisse. Wie das Wasser eine Tasse, einen Teepott oder eine Flasche einnimmt, auslotet, deren Form annimmt und so letztlich zur Tasse, zum Teepott oder zur Flasche wird, ist ein Kick, ein Schlag oder ein Wurf für sich einzunehmen, auszuloten und dessen Form anzunehmen. Man wird letztlich selbst zum Kick, zum Schlag oder zum Wurf. Ein enormer Unterschied: Man führt nicht diese oder jene Techniken aus, sondern wird selbst zur Technik. Alles läuft im „hier und jetzt“ und beeinflusst sich gegenseitig. Man ist Bestandteil der Natürlichkeit eines Trainings oder eines Kampfes – beeinflusst und wird beeinflusst. Letztlich werden Aktionen konsequenter, geradliniger und authentischer, weil sie sowohl konkret, als auch schnörkellos ein natürliches Bedürfnis abarbeiten.

Wie in so einem Kontext ein Training aussehen muss, damit das „…so sein wie Wasser…“ auch gelingen kann, wäre dann die nächste Frage. Hierfür gibt es – im Grunde genommen – zwei große Ansätze: Entweder man lässt dem Wasser freien Lauf oder versucht, die Naturgewalt einzudämmen und zu kontrollieren. Hierzu evtl. im nächsten Block mehr.

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